Ariens 915067 - 1740 User Manual Page 36

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
Weil im Hiberner-Theater die Opern entweder in deutscher oder tschechischer, aber
nicht in italienischer Sprache aufgeführt wurden, folgt aus dem zitierten Text, dass
die Giardiniera in Prag auf deutsch aufgeführt wurde, und zwar unter dem Titel Die
Gärtnerinn aus Liebe. Das gedruckte Libretto, die Theaterzettel, Informationen zu
den Interpreten, Aufzeichnungen über weitere Aufführungen oder Rezensionen
all das ist, genauso wie im Fall der Münchner Uraufführung dieser Oper 1775, nicht
erhalten geblieben.
Die erste Prager Einstudierung dieser frühen Mozart-Buffa hatte bald darauf
in Mähren und in Schlesien ein bemerkenswertes Echo. Denn eine Partitur
der Giardiniera aus der Kopistenwerkstatt von Anton Grams gelangte in das
Privattheater des auf Schloss Náměšť nad Oslavou in Mähren residierenden
Musikliebhabers Heinrich Wilhelm Graf von Haugwitz (1770–1842). Für
diesen Geige spielenden Grafen wurden seit seiner Übernahme der Náměšťer
Gutsherrschaft private Musikproduktionen zu einer großen Leidenschaft; mit
seinem Schlossensemble führt er vor der Giardiniera bereits Werke von Gluck auf.
In den folgenden Jahren stand Händel an der Spitze seiner Beliebtheitsskala. Um
1830 herum soll sein Musikensemble über 60 Mitglieder gehabt haben. Erinnert
sei in diesem Zusammenhang auch an eine besondere musikalische Rarität aus der
Haugwitzschen Musikaliensammlung das Autograph des Requiem von Antonio
Salieri mit einer Widmung an den mährischen Grafen; zum ersten Mal wurde dieses
Werk in der Schlosskapelle in Náměšť aufgeführt.
Die in derselben Sammlung mit ca. 1400 Musikalien vorhandene zeitgenössische
Partitur-Abschrift der Giardiniera entdeckte die Mozartforschung dank Dr. Robert
Münster aus München bereits 1965. Es handelt sich hierbei um die einzige bisher
bekannte Quelle, die den ursprünglichen italienischen Text zu allen drei Akten
der Oper beinhaltet, und zwar einschließlich der Secco-Rezitative des ersten
Aktes, dessen Mozart’sche Niederschrift nicht erhalten geblieben ist. Erst auf
Grundlage der Quelle aus Náměšť konnte im Rahmen der Neuen Mozart Ausgabe
die komplette italienische Version der Oper erstmals herausgegeben werden
(1978). In Bezug auf die Náměšť-Partitur konstatierten die Herausgeber damals:
„In welchem Verhältnis sie zum Autograph steht, ist ungewiß. Mit Sicherheit ist
diese Partitur, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts geschrieben wurde, nicht direkt
vom Autograph kopiert worden, das zu jener Zeit bereits unvollständig war.“ Die
Handschrift enthält bei einer ganzen Reihe von Nummern einen deutschen Text, der
sich von der deutschen Übersetzung der Gärtnerin in Mozarts eigener Singspiel-
Bearbeitung unterscheidet. Besonderes Interesse erweckt die Náměšť-Partitur
auch durch zahlreiche Abweichungen auf musikalischer Ebene. Zu den auffälligsten
Abweichungen gehört die häufige Kürzung von Arien. 13 von insgesamt 24 Arien
wurden gekürzt (Nr.2, 3, 5, 7, 13, 15, 16, 17, 18), und zwar nicht in der üblichen
Form durch nachträgliche Streichungen. Die Abschrift beinhaltet bestimmte
Abschnitte der angeführten Arien erst gar nicht. Gekürzt erscheinen vor allem die
instrumentalen Einleitungen der Arien. Überraschenderweise verbinden sich die
Kürzungen mit Erweiterungen auf einer anderen Ebene der Komposition. Denn in
einigen Fällen – und das ist an dieser Giardiniera-Abschrift das Interessanteste – ist
die orchestrale Begleitung von Arien durch neu hinzukomponierte Bläserstimmen
(vornehmlich 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten und zwei Waldhörner) angereichert
worden. Wer der Autor dieser hinzukomponierten Stimmen war, ließ sich leider
bisher nicht in Erfahrung bringen – trotz aufwändiger Vergleiche mit weiteren
lokalen Quellen, unter denen die erhalten gebliebenen Aufführungs-Stimmen in
Abschriften örtlicher Kopisten sowie die Abschrift des italienischen Opernlibrettos
die wichtigsten Dokumente darstellen.
Den Weg zu möglichen neuen Erkenntnissen eröffnete jedoch eine andere Prager
Abschrift der Giardiniera-Partitur, die aus der Musikaliensammlung des schlesischen
Schlosses Oels stammt und die sich heute in der Dresdner Landesbibliothek
befindet. In diesem Fall handelt es sich um eine deutsche Singspiel-Version der
Oper ohne Rezitative. Sie weist jedoch die gleichen Eingriffe in die musikalische
Struktur auf wie die Náměšť-Partitur, d.h., sie kennt die gleichen Kürzungen der
Nummern und die hinzukomponierten Blasinstrumente. Eine Untersuchung des
verwendeten Papiers und der Kopisten-Handschriften hat ergeben, dass die Oelser
Partitur die gleiche Provenienz hat wie die Náměšťer Partitur ist: beide stammen
aus Prag, und zwar aus der Kopistenwerkstatt des Anton Grams. Es sei in diesem
Zusammenhang hinzugefügt, dass in Prag auch die neue deutsche Übersetzung
der Oper entstanden ist. Unbeantwortet bleibt bisher nur die Frage, wer von den
vielen Prager Musikern als Autor der hinzukomponierten Instrumental-Stimmen
gelten kann; angesichts des feinsinnigen und sensiblen Charakters seiner Eingriffe
kann allerdings davon ausgegangen werden, dass es sich um einen wirklichen
Kenner des Mozart’schen Stils handelte.
Dieser ganze Komplex wird noch um eine weitere Quelle erweitert, die erst vor
kurzem entdeckt wurde und ebenfalls mit der Kopistenwerkstatt Anton Grams’
in Verbindung steht. In der Musikaliensammlung des Prämonstratenser-Klosters
in Prag-Strahov ist ein Fragment einer weiteren zeitgenössischen Abschrift von
Giardiniera aufgetaucht, das die ursprüngliche italienische Version der Oper
beinhaltet. Die Analyse dieser Quelle ergab nicht nur eine identische Provenienz,
sondern auch eine enge Verbindung zur Náměšť-Partitur. In einem der Bände der
Strahover Partitur befinden sich nämlich zwei Rezitative und der Teil einer Arie
Serpettas, deren Blätter ursprünglich Bestandteile der Náměšť-Partitur gewesen
waren. Von dort waren also Teile herausgenommen und in die Strahover Partitur
integriert worden. Wann, wo und aus welchen Gründen, ist nicht bekannt; in der
Náměšť-Partitur wurden die entnommenen Teile durch andere Abschriften ersetzt.
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