Ariens 915067 - 1740 User Manual Page 27

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La finta giardiniera
Silke Leopold
Seit die Opera buffa um 1740 entstanden war, hatten sich in dieser Gattung bestimmte
Rollen- und Szenentypen herausgebildet, die in jeder Handlung Erfolg versprachen und
versatzstückartig in jedem Libretto untergebracht werden konnten. An dramaturgischem
Schematismus stand die Opera buffa der Opera seria bald kaum mehr nach, und das Interesse
des Publikums richtete sich weniger auf die Neuheit einer Geschichte als vielmehr auf die
Frage, wie das sattsam Bekannte, die immergleiche Geschichte von Liebe und Verwirrung im
konkreten Fall neu und überraschend erzählt wurde. Solche Handlungs-Stereotypen sind in
den Gattungen des Schauspiels, besonders den nicht-literarischen, nichts Ungewöhnliches;
die Commedia dell’arte, aber in neuerer Zeit auch der Western oder die Soap Opera leben
von diesem Grundvertrauen in den Ablauf der Geschichte, das den Zuschauer auch die
überraschendsten Ereignisse und die spannungsgeladensten und gefährlichsten Situationen
ertragen lässt. Mit dem Rückgriff auf die Rollentypologie der Commedia dell’arte sicherte Carlo
Goldoni die Lebensfähigkeit der komischen Oper, indem er neben die komischen Rollen, die
lpel und Spinner, die gewitzten Kammerzofen und Diener, nun auch „ernste“ Personen nach
Art der „Innamorati“, der verliebten jungen Paare, und solche Rollen stellte, die als „mezzo
carattere“ sowohl ernst als auch komisch waren.
La finta giardiniera, das Libretto, das der erfolgreichen Vertonung von Pasquale Anfossi im
Karneval 1774 in Rom zugrunde gelegen hatte, bediente alle diese Erwartungen, ohne sich
allzu sehr um eine dramatisch stringente, mehr als nur von Versatzsck zu Versatzstück
leitende Handlung zu bemühen
15
. Mit den sieben handelnden Personen repräsentierte es die
Dramaturgie der Opera buffa nachgerade idealtypisch. An der Spitze der Rollenkonstellation
stand mit Don Anchise ein alter, an den Pantalone der Commedia dell’arte und unzählige
Hagestolze der komischen Oper wie Uberto aus Giovanni Battista Pergolesis La serva padrona
oder Pimpinone aus Tommaso Albinonis gleichnamigem Intermezzo gemahnender Tölpel.
Die adelsstolze Arminda und der traurige Ritter Ramiro waren Inkarnationen der „parti
serie“, dier ernsten Rollen, der Graf Belfiore und die Gräfin Violante verkörperten ihrerseits
den Bereich des „mezzo carattere“, und Serpetta und Nardo machten gemeinsam mit Don
Anchise die „parti buffe“ komplett. Und mit der Wahnsinnsszene, der Verwechslungsszene
im dunklen Garten, der Dienerin, die es auf den Herrn a/jointfilesconvert/299222/bgesehen hat, der Instrumentenarie,
mit den Wutanfällen Armindas und den Verzweiflungsausbrüchen Sandrinas enthielt das
Libretto alles, was in der Opera buffa Erfolg versprach.
Giuseppe Petrosellini oder wer immer das Libretto verfasste lehnte sich bei der
Gestaltung der Rollen und der Szenen eng an die Erfolgsoper der 1760er-Jahre an. Mit La
buona figliola, seiner 1760 in Rom aufgeführten Oper mit einem Libretto Carlo Goldonis nach
Samuel Richardsons Briefroman Pamela hatte Nicolò Piccini einen neuen Ton gefunden, der
das musikalische Ausdrucksspektrum der Opera buffa neben Karikatur und Groteske auf
der einen und tiefem Ernst auf der anderen Seite um eine sentimentalische Komponente
erweiterte. La buona figliola handelte von einer liebreizenden Gärtnerin namens Cecchina,
von einem Marquis, der die Gärtnerin liebt, und von dessen adesstolzer Schwester, die
die Verbindung zu hintertreiben versucht, weil ihr nicht minder arroganter Verlobter, der
Ritter Armidoro, sie im Angesicht einer solchen Mesalliance nicht heiraten würde, von einer
15. Hierzu Volker Mattern, Hierzu Volker Mattern, Das Dramma giocoso ‘La finta giardinera’: ein Vergleich der Vertonungen von Pasquale Anfossi und Wolfgang Amadeus
Mozart (Laaber: Laaber Verlag, 1989).
Bäuerin namens Sandrina, die es ihrerseits auf den Marquis a/jointfilesconvert/299222/bgesehen hat. Erst als sich
herausstellt, dass Cecchina in Wirklichkeit die als Säugling verschleppte Baroness Mariandel
ist, lösen sich die Konflikte in Wohlgefallen und in einer Doppelhochzeit auf. Angesichts
des europaweiten Erfolgs von Piccinis La buona figliola verwundert es nicht, dass andere
Librettisten diesem Erfolgsmodell nacheiferten und ähnliche Rollen wie Cecchina schufen,
in der sich natürliche Unschuld und Adel der Geburt gleichermaßen artikulieren und die
Standesgrenzen musikalisch aufheben konnten. Neben Cecchina wirkten die Marquise
Lucinda mit ihrer rasenden Rachearie und ihr Verlobter Armidoro, der als Kastratenrolle die
Atmosphäre der Opera seria in die Opera buffa hineintrug, wie Personen aus einer alten,
überholten Zeit.
Mozart, der nach drei Jahren erstmals wieder Gelegenheit bekam, eine Oper zu schreiben,
stürzte sich mit wahrem Feuereifer auf diese Aufgabe. Erstmals seit Kindertagen hatte er es
wieder mit einer Opera buffa zu tun, die andere kompositorische Aufgaben stellte als die
Opera seria. Ging es in dieser vornehmlich um die musikalische Darstellung der Affekte, der
inneren Befindlichkeiten, so lebte die Opera buffa auch von der Darstellung der äußeren
Handlung mit den Mitteln der Musik. Zwei große Handlungs-Finali, das Zusammentreffen
der gewesenen und aktuellen Liebespaare am Ende des I. Aktes und das Tohuwabohu im
dunklen Wald am Ende des II. Aktes, hatte Mozart zu komponieren, und die musikalischen
Lösungen, die er dafür fand, reflektieren den aktuellen Zustand der Gattung perfekt; es
sind ausgedehnte Ketten-Finali, in denen Takt und Tonart, Tempo und Deklamationsart
de Handlungsverlauf illustrieren und strukturieren. Das erste Finale etwa zeichnet den
sukzessiven Auftritt der Personen deutlich hörbar nach. Es beginnt, als Belfiore die
ohnmächtige Sandrina als Violante erkennt, mit einer Mischung aus Accompagnato-Rezitativ
und menuettartigem Arioso, wechselt zu einem erregten Vierertakt im Allegro, als Arminda
und Ramiro hinzukommen, danach, binnen zwei Takten von e-Moll nach Es-Dur modulierend,
zu einem majestätischen, „Adagio ma non molto“ vorgezeichneten Auftritt des Podestà. Das
Erscheinen von Serpetta und Nardo kündigt sich schließlich durch einen neuen Formteil
im Allegro, in D-Dur und im 6/8-Takt an. Kettenartig reiht sich auf diese Weise Formteil an
Formteil, nach dem Prinzip jener Steigerung, die Lorenzo Da Ponte später als eine Abfolge
von „L’adagio, l’allegro, l’andante, l’amabile, l’armonioso, lo strepitoso, l’arcistrepitoso, lo
strepitosissimo“ beschriebt
16
.
Aber auch innerhalb einzelner Formteile, die ihr musikalisches Gerüst durch Tempo und
Taktart erhielten, differenzierte Mozart die individuellen Äußerungen der einzelnen
Personen durch die Art der Deklamation und der Instrumentalbegleitung sowie durch
die Tonart. Wenn etwa, zwischen T. 392 und T. 431 des ersten Finales, Arminda Belfiore
beschimpft, Ramiro ihren Zorn nicht versteht, der Podestà und Serpetta Sandrina bedrängen
und diese ihr grausames Schicksal beklagt, so wechselt Mozart innerhalb dieser kurzen,
mit Allegro und ¾-Takt vorgezeichneten Passage von D-Dur (Arminda) zu h-Moll/e-Moll
(Ramiro), zu a-Moll (Podestà, Serpetta) und zu e-Moll (Sandrina). Darüber hinaus deklamiert
Arminda, das Edelfräulein, im höfischen Rhythmus des Menuetts, der leidende Ramiro im
„schluchzenden“ Rhythmus der Sarabande, der Podestà und Serpetta im buffatypischen
Achtelgeplapper und Sandrina schließlich mit weit ausladenden Intervallen noch einmal
im Rhythmus der Sarabande. Dass sie die wahrhaft Leidende ist, macht Mozart durch den
chromatisch absteigenden Bass deutlich, der, als traditioneller Lamentobass, ihren Gesang
begleitet.
16. Lorenzo Da Ponte, Lorenzo Da Ponte, Memorie (New York: Gray and Bunce, 1829) vol.1, Nr.2, S.51.
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