Ariens 915067 - 1740 User Manual Page 28

  • Download
  • Add to my manuals
  • Print
  • Page
    / 110
  • Table of contents
  • BOOKMARKS
  • Rated. / 5. Based on customer reviews
Page view 27
28

Neben den Ensembles, unter denen auch das Versöhnungsduett zwischen Sandrina und
Belfiore nach Art eines offenen Kettenfinales von einem neuen musikalischen Zugriff auf die
Duettsituation kündet, sind es aber vor allem die Arien, in denen der nunmehr achtzehnjährige
Mozart seine Meisterschaft im musikalischen Einfühlen in Charaktere und Situationen
unter Beweis stellt. In der Opera buffa war der Komponist, was die Form der Arien anging,
wesentlich freier als in der Opera seria, und Mozart nutzte die Möglichkeiten weidlich. Doch
es sind weniger die formalen als vielmehr die affektiven Merkmale, die den weltenweiten
Fortschritt gegenüber La finta semplice dokumentieren. Das betrifft selbst so traditionelle
Arientypen wie die Registerarie „Da Scirocco a Tramontana“ (Von Süden nach Norden),
in der Belfiore, unterstützt von der herrscherlichen Trompete, mit ebenso pompösem wie
leierndem Gestus seine beeindruckende Ahnenreihe aufzählt, oder die Instrumentenarie
„Dentro il mio petto io sento“ (In meiner Brust höre ich), in der das Zusammenspiel von
Flöte und Oboe die harmonischen Herzenstöne des verliebten Podestà hörbar macht, bevor
Pauken und Trompeten, Fagotte und Kontrabass im Arientext wie im Orchestersatz verraten,
dass ihn schlussendlich doch die Verzweiflung übermannt. Das betrifft aber einmal mehr vor
allem die Arien der Protagonistin, in denen Mozart alle Register der emotionalen und der
sozialen Ausdrucksmöglichkeiten zieht.
Wenn die Gräfin Violante vor Ramiro das Gärtnermädchen spielt, ahmt sie in der „Grazioso“
überschriebenen Auftrittsarie „Noi donne poverine“ (Wir armen Frauen) jenen sentimentalen,
scheinbar natürlichen Ton nach, den Nicolò Piccinni mit Arien wie Cecchinas „Una povera
ragazza“ (Ein armes Mädchen) in La buona figliola berühmt gemacht hatte. Nichts deutet
in dieser liedhaft schlichten, nur von Streichern begleiteten Arie darauf hin, dass sich unter
den Kleidern der Gärtnerin eine Gräfin verbirgt; andererseits aber enthält die Musik nichts,
was die Gärtnerin unmissverständlich als ein niedriggeborenes Mädchen aus dem Volke
charakterisieren würde. Wenn Violante dann, allein auf der Bühne, in der Cavatina „Geme
la tortorella“ (Es klagt die Turteltaube) mit ihrem Schicksal hadert, verrät nicht nur der Text
in Gestalt einer Gleichnisarie, sondern auch die Musik mit ihrem Reichtum an klanglicher,
melodischer und harmonischer Differenzierung die edle Herkunft der Gärtnerin, ohne
dass die Musik einen heroischen Zug auch nur ahnen lassen würde. Zwischen „Noi donne
poverine“ und „Geme la tortorella“, obwohl identisch in der Orchesterbesetzung und der
Taktvorzeichnung, liegen Welten. Die Klangmixtur aus sordinierten Violinen und Pizzicato
in den tiefen Streichern, aus Sechzehnteltriolen in der zweiten Violine und kleingliedrigen,
mit der koloraturgesättigten Singstimme korrespondierenden Motiven, das Schwanken
zwischen Dur und Moll und nicht zuletzt der Einsatz der Singstimme mitten in die Kadenz des
Orchester-Ritornells hinein, der den Gesang und die Instrumente gleichsam verschmelzen
lässt, verbinden traditionelle Textausdeutung mit orchestraler Naturschilderung zu einer
Herzensergießung von berückender arkadischer Schönheit.
Die große Szene vor Beginn des zweiten Finales, beginnend mit der c-Moll-Arie „Crudeli,
fermate“ (Grausame, haltet ein), die erst in ein Accompagnato-Rezitativ, dann in die a-Moll-
Cavatina „Ah dal pianto, dal singhiozzo“ (Ach vor Weinen, vor Schluchzen) und zuletzt in ein
weiteres Accompagnato mündet, gehört schließlich mit ihrer nach Art der Aria agitata beide
Arien tragen die Tempobezeichnung „Allegro agitato“ – atemlos herausgeschleuderten
Verzweiflung so sehr in den Ausdrucksbereich der Opera seria, dass sie im Kontext dieser
Verwechslungskomödie fast wie ein Fremdkörper wirkt. Die Musik enthält sich jeglicher
ironischen Distanz, die Sandrinas Unglück zu einem Gegenstand der Erheiterung machen
könnte. Anders als in ihrer Auftrittsarie, in der Sandrina perfekte Kontrolle über ihr Verhalten
hat, zeigt sie sich hier als eine buchstäblich Getriebene, deren Elend dem der Seria-Heroinen
wie Aspasia oder Giunia
17
nicht nachsteht.
Waren es diese Arien, die den in Augsburg lebenden Musikschriftsteller Christian Friedrich
Daniel Schubart zu seiner prophetischen Äußerung über Mozart veranlassten? In der von
ihm herausgegebenen Zeitschrift mit dem Titel Teutsche Chronik schrieb er nach dem Besuch
einer Aufführung: „Auch eine opera buffa habe ich gehört von dem wunderbaren Genie
Mozart. Sie heißt: La finta giardiniera. Genieflammen zucken da und dort, aber es ist noch
nicht das stille, ruhige Altarfeuer, das in Weihrauchwolken gen Himmel steigt. Wenn Mozart
nicht eine im Gewächshaus getriebene Pflanze ist, so muß er einer der größten Komponisten
werden, die jemals gelebt haben“ (Teutsche Chronik, 34. Stück, 27. April 1775, S. 267).
Bei aller Begeisterung für die Oper des knapp Neunzehnjährigen stolz berichtete Mozart
seiner Mutter in Salzburg von nicht enden wollendem Beifall und Bravorufen bei der
Premiere – erlebte La finta giardiniera doch nur drei Aufführungen. Eine Singspielfassung in
deutscher Sprache mit gesprochenen Dialogen, die 1779 in Salzburg in Zusammenarbeit mit
der Böhm’schen Schauspielergesellschaft entstand, wurde 1780 in Augsburg, später auch
noch in Frankfurt am Main und in Mainz aufgeführt. Bis Mozart wieder eine Opera buffa
komponierte, sollten mehr als zehn Jahre vergehen.
aus: Mozart-Handbuch, hrsg. von Silke Leopold
© 2005 Bärenreiter-Verlag, Kassel
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
17. In Mozarts In Mozarts Mitridate, re di Ponto bzw. Lucio Silla.
contents
inhalt
Page view 27
1 2 ... 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 ... 109 110

Comments to this Manuals

No comments