Ariens 931016 S-12 User Manual Page 7

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von einer giftigen Schlange gebissen einen qualvollen Tod in einer Agonie von Gewissens-
bissen erleidet.“
Prokofjew gab seiner kalt entschlossenen Kleopatra keine Singstimme, sondern ließ sie
Puschkins Gedicht über das Orchester sprechen und darin ein Gerücht nacherzählen, das
ein römischer Dichter aus dem 4. Jahrhundert, Sextus Aurelius Victor, über sie verbreitet
hatte: „Die Frau war so lüstern, dass sie sich oft als Prostituierte feilbot, so schön, dass sich
manch einer eine ihrer Nächte mit dem Tod erkaufte.“ Prokofjews leicht zu durchschau-
ende Gleichung Sex = Tod übertrifft sogar die Romantiker an Romantik. Seine Ägyptischen
Nächte erzählen von drei Männern, die willens sind, ihr Leben hinzugeben im Tausch für
eine Nacht mit dieser lebenden Göttin der Liebe, oder der Lust, oder beidem. Aber er er-
laubt Kleopatra auch zu erklären, wie sich zu prostituieren ihr Macht verleiht und sie befreit.
Michelangelo benützte ihr Bild als Präsentationszeichnung, eine Art Visitenkarte, die er
möglichen Kunden und Mäzenen überreichte. Tiepolo bedeckte die Wände des Ballsaals
im Palazzo Labia in Venedig mit Episoden ihrer Affäre mit Mark Anton, darunter die be-
rühmte Bankettszene, während derer sie eine unbezahlbare Perle in einem Pokal mit Essig
auflöst, um ihren unendlichen Reichtum und gleichzeitig ihre a/jointfilesconvert/310653/bgrundtiefe Verachtung
diesem Reichtum gegenüber zu zeigen. Weniger begabte Maler hingegen konnten dem
Thema ihres Todes nicht widerstehen: Mag die Schlange sie auch in den Arm gebissen
haben, so fanden die Künstler doch, es sei vonnöten, ihre Brust zu entblößen, damit der
Arm sichtbar wird.
Auch die Filmwelt hat Kleopatra aufgenommen und scheint sie nicht mehr ablegen zu
können. Es begann mit Theda Bara, dem ersten Vamp (will heißen: Vampir), ihren a/jointfilesconvert/310653/bgrund-
tiefen Augen und ihrem Komm-nur-näher-Blick, nicht zu sprechen von ihren Kostümen,
so durchsichtig, dass sie sogar heute noch schockieren.
Die Rolle von George Bernard Shaws Kleopatra wurde Vivien Leigh anvertraut, die sie
sowohl auf der Bühne, wie auch auf der Leinwand mit Charme und Geist spielte; während
niemand-weiß-genau-wessen Kleopatra von Elizabeth Taylor mit üppigem Augen- Make-up
und 65 Kostümwechseln im Film verkörpert wurde. Die cinematografische Apotheose
Kleopatras wurde 2002 im Film Astérix et Obélix: Mission Cléopâtre er reicht – dessen
Handlung wir wirklich nicht kennen müssen.
Wie nett es auch sein mag, diesen Zelluloidwundern nachzusinnen, so sind wir wohl
besser beraten, unsere Aufmerksamkeit wieder der Musik und Händel zuzuwenden. Er
porträtierte Cäsar und Kleopatra – vielleicht auch er verführt von den Berichten über die
Schönheit ihrer Stimme – nicht als historische Persönlichkeiten, sondern als Liebespaar, für
die er eine ausgedehnte Hymne an die leidenschaftliche Hingabe komponierte. Die Tat-
sache, dass Cäsar verheiratet war und Kleopatra mehr als einmal Witwe, und darüber
hinaus von ihren eigenen Brüdern, spielt einfach keine Rolle: Hier sind zwei Menschen,
ausgeliefert ihrer sexuellen Anziehungskraft, berauscht, wenn sie einander sehen und
hören. Bedenken Sie, dass in der Uraufführung am 20. Februar 1724 Cäsar von Senesino
und Kleopatra von der Cuzzoni gesungen wurden. Und für den Fall, dass jemand im
Publikum auf die Idee gekommen wäre, einzunicken, würzte Händel den Abend noch mit
Anastasia Robinson als Cornelia und rührte die Durastanti als Sextus darunter. Das ist
wahre „Feuerwerksmusik“.
Ja, es gibt Cornelia und Sextus, gefangen und beleidigt von Kleopatras gemeinem Bruder
Ptolemäus, doch sie sind Teil dessen, was eindeutig Nebenhandlung ist. Sie lieben den
ermordeten Pompeius, doch es ist die Liebe der treuen Gattin und des pflichtbe wussten
Sohnes, die ihre Arien erfüllt, nicht das entflammte Feuer der körperlichen Begierde.
Cäsar beherrscht die begrenzte Welt wie ein Riese, und er und Kleopatra beherrschen die
Oper: Jeder der beiden bekommt acht Arien und zwei Accompagnati sowie zum Schluss
zwei Duette miteinander. Dies umfasst etwa die Hälfte der Musik – in einer Oper, in der
acht Personen auftreten. Keine Emotion war Händel fremd, doch seine leidenschaftliche
Liebe galt – eben – der leidenschaftlichen Liebe. Vor der den Atem verschlagenden und
ganz und gar gegenseitigen Anziehungskraft, welche aus den Arien und Duetten brandet,
erscheint – zumindest für uns wahre Gläubige – das Ächzen und Schnauben anderer
Komponisten nur noch ungehobelt und grob.
Wer auch immer sich diese Oper anhört und ihre endlosen Freuden in die tiefsten
A/jointfilesconvert/310653/bgründe seines bzw. ihres Geistes strömen lässt, wird nicht überrascht sein über die
Leichtigkeit, mit der Händel dies gelang. Was einen hingegen überraschen muss, ist die
Tatsache, dass diese Oper, a/jointfilesconvert/310653/bgesehen von ein paar gelegentlichen Aufführungen, während
zweier Jahrhunderte praktisch vergessen war.
Doch dann New York und Beverly Sills und eine Explosion von Begeisterung und Inter-
esse. Und dann München 1994, als Giulio Cesare an der Bayerischen Staatsoper in einer
Inszenierung gezeigt wurde, die das Publikum von den Sitzen riss, vor Zustimmung und
Ablehnung brüllend, und Händel so, nach viel zu langer Zeit, dorthin zurückkehrte, wohin
er gehört: nämlich auf unsere Bühnen und in unsere Herzen.
Übersetzung aus dem Englischen: Markus Wyler
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