Ariens 931016 S-12 User Manual Page 22

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Die mamlukische Sultanin Shadjarat ad-Durr regierte Ägypten tausend Jahre später als
die Ptolemäerkönigin Kleopatra. In der Zeit zwischen den beiden Herrscherinnen war
das heidnische Ägypten christlich und später islamisch geworden. Shadjarat ad-Durr
beherrschte Ägypten in einer kritischen Zeit, in der das Land unter den Angriffen des
französischen Königs Ludwig IX. litt. Die schöne, starke Sultanin ereilte ein schmerzli-
ches Ende, indem sie von ihren Mägden mit Holzschuhen erschlagen und ihr Leichnam
von den Höhen der Saladin-Zitadelle von Kairo geworfen wurde. Trotz alledem geriet
das Andenken von Shadjarat ad-Durr allmählich in Vergessenheit, während Königin
Kleopatra in der ägyptischen Volkskultur immer präsent blieb. Das Bild und die Ge-
schichte dieser Herrscherfrau sind trotz der vielen Jahrhunderte, die seit ihrer Zeit
vergangen sind, ein unauslöschlicher Teil des ägyptischen Gedächtnisses geblieben.
Noch heute nennen sich die berühmtesten Hotels, die elegantesten Restaurants am
Nil und die meistgerauchten Zigaretten in Ägypten nach ihr. Baumwolltextilien und
volkstümliche Frauengewänder Marke Kleopatra sind überall im Angebot, und unzäh-
lige sonstige Kleidungsstücke sind mit dem Bild der ägyptischen Königin bedruckt.
Als Kind ging ich oft mit meiner Mutter, meinen Geschwistern und den Nachbarskin-
dern in ein billiges Kino – es war das einzige, das es in unserem einfachen Viertel im
Osten von Kairo gab. Für gewöhnlich wurden dort drei Filme hintereinander gezeigt,
und das Ganze kostete nur wenige Piaster. Das Viertel hieß „Zeitun“, und das Kino –
natürlich – „Kleopatra“. Ich erinnere mich noch, dass ich dort einmal Hannibal und Die
Reise zum Mittelpunkt der Erde gesehen habe.
Im äußersten Nordwesten Ägyptens, am Mittelmeer, liegt die Stadt Marsa Matruh. Vor
der Stadt liegt in der Brandung ein reizvoller Fels, den die Ägypter „Kleopatrafelsen“
nennen. Sie glauben, dass Kleopatra dort im Meer gebadet habe, und jeder, der heute
Marsa Matruh besucht, besichtigt diesen Felsen und geht zu einem in der Nähe liegen-
den Strand, den man „Liebesstrand“ nennt. Noch heute erzählen sich viele Ägypter,
dass Kleopatra sich dort mit ihrem Geliebten Mark Anton getroffen habe …
Kleopatra-Goldschmuck ist auf dem ägyptischen Land nach wie vor weit verbreitet. Die
Bäuerinnen tragen noch heute Brustketten, die der berühmten Kette von Kleopatra
nachempfunden sind, und Ohrringe, die ein Profil der Königin in Gestalt der pharaoni-
schen Göttin Isis darstellen. Meine Mutter und die meisten Frauen ihrer Generation
bekamen zur Hochzeit noch Armreifen geschenkt, die ein Schlangenpaar darstellten,
deren beide Köpfe ein Diamant und ein Rubin waren. Es handelte sich bei diesen
wertvollen Goldschlangen um eben jenen Schmuck, den schon die legendäre Kleo-
patra um ihren Oberarm getragen hatte. Auch Kleopatras Make-up ist noch immer sehr
beliebt – vermutlich gehen die Schminkutensilien sogar auf die Pharaonenkönigin
Hatschepsut zurück. Das Kajal, das man aus verbrannter und in Olivenöl eingelegter
Baumwolle gewinnt und in traditionell verzierte Kajalbehälter aus Silber oder Messing
füllt, findet überall in Ägypten großen Anklang. Dazu kommt das aus Stein gewonnene
blaue Kajal, das als Lidschatten Verwendung findet. Selbst beim Design traditioneller
Kleider nimmt man in manchen Details auf die Gewänder Kleopatras Bezug.
Vielleicht ist die ständige Präsenz Kleopatras im Alltagsleben auch eine Bestätigung des
hellenistischen Elements der ägyptischen Nationaltradition, das schon viele ägyptische
Intellektuelle hervorzuheben bestrebt waren, allen voran Taha Hussein, Subhi Wahida
und Hussein Fauzi, um nur einige zu nennen. Sie begründeten damit im vergangenen
Jahrhundert eine Strömung, die den hellenistischen Geist Ägyptens wiederbeleben und
Salwa Bakr ı Kleopatra – längst vergangen und doch präsent
einer Haltung Ausdruck geben wollte, die die mediterrane Identität ihres Landes betonte.
Die Volkskultur bestätigt durch ihren Rückgriff auf Kleopatra zwar das mediterran-helle-
nistische Element, verzichtet dabei jedoch auf die Theorien der Gebildeten. Zwar ist
Kleopatra auch in Gedichten, Theaterstücken und Liedern großer Schriftsteller gepriesen
worden, doch kann man annehmen, dass die breite Masse der Ägypter sowie Bauern,
die weder lesen noch schreiben können, wohl kaum durch solche elitären Werke Zu-
gang zu Kleopatra gefunden haben. Die meisten jener einfachen Ägypter, die heute den
Namen der alten Königin im Munde führen oder ihre Töchter nach ihr benennen, ken-
nen die wahre Geschichte Kleopatras kaum, weil sie keine historischen Quellen lesen.
Ist es Kleopatras tragische Lebensgeschichte, die über die Jahrhunderte ihren Weg ins
Volksempfinden fand und sich dort verfestigte? Oder wurde sie deshalb immer so
verehrt, weil sie sich mit der Muttergöttin Isis gleichsetzte und behauptete, von ihr
abzustammen? Vielleicht gibt es keine endgültige Antwort auf diese Fragen. Fest steht
jedoch, dass die Ägypter sie immer als ihre wahre Königin ansahen, vielleicht auch
deshalb, weil sie Kleopatras Wunsch nach Unabhängigkeit von Rom und ihr Festhalten
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